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Samstagmorgen im Café

Auf Grund eines Fahrdienstes bin ich wieder einmal in einem Dorf gelandet in dem ich noch nie wirklich war. Zwei Stunden stehen mir zur freien Verfügung. Ich lasse das Auto bei der Turnhalle stehen und gehe zu Fuss Richtung Dorf. Am Grossverteiler und der Bäckerei mit Café vorbei, möchte ich mir zuerst das Gebäude unterhalb des Berges ansehen. Es ist ein riesiges Überbleibsel aus einer anderen Zeit, dem wie es scheint, erfolgreich neues Leben eingehaucht wird.

Ich kehre um und gehe ins Café, setzte mich an einen freien Tisch und habe fast das ganze Lokal im Überblick. Die Bedienung kommt und ich bestelle einen Tee, nehme meinen Laptop aus der Tasche. Heute will ich wieder einmal etwas schreiben. Das ist mir in den vergangenen Wochen nicht gelungen, obwohl ich es immer wieder versucht habe. Auch heute komme ich nicht in Schwung, bis der Tisch schräg rechts vor mir belegt wird.

Vier junge Frauen mit einem kleinen Kind kommen in den Raum. Freundinnen schätze ich, eine scheint sich auszukennen. Ein Kinderstuhl wird gebracht, Jacken und Mäntel ausgezogen. Der erste Versuch den Buben gleich auf seinen Thron zu setzen scheitert. Es wird «gewerweist», was bestellt werden soll und wie es sich gehört schon viel geschwatzt.

Die Serviceangestellte kommt um die Bestellung aufzunehmen. Die Mutter will wissen, ob es auch veganes Joghurt gibt. Leider nein. Danach brauchen sie nochmals einen Moment. Kurze Zeit später bestellen sie das klassische Frühstück und Kaffee. «Hafermilch haben sie aber schon? Und können sie die Butter durch Margarine ersetzen?» Die Bedienung zögert oder verneint, das kann ich nicht verstehen. Dafür verstehe ich die nächste Frage sehr gut. «Oder ist es ok, wenn ich schnell im Coop welche kaufen gehe?» Das wird abgeklärt und erlaubt. Die junge Mutter zieht also die Jacke wieder an und verabschiedet sich. Die anderen drei kümmern sich um den Kleinen und reden weiter. Ihm passt es überhaupt nicht, dass seine Mama ohne ihn gegangen ist. Jegliche Ablenkung hilft da wenig. Gerade als er immer lauter seine Unzufriedenheit kundtut, kommt sie zurück.

In der Zwischenzeit ist die Buffetfrau an den Tisch gekommen, um abzuklären, ob sie denn Schokoladenpulver auf den Cappuccino streuen könne. Das ist kein Problem.

Gipfel, Brötchen und alle Getränke werden serviert. Es folgt ein Teller mit Aufschnitt und Käse. Der Kleine wird hin und her gereicht, aber bei niemandem hält er es lange aus. Die Mutter erklärt ihm schon das zweite Mal, dass er hätte zu Hause bleiben sollen, wenn er jetzt nicht brav sein will. Die Serviceangestellte bringt Bilderbücher und ein altersgerechtes Puzzle. Nun lässt er sich in den Kinderstuhl setzen und beschäftigt sich damit. Das freut alle Anwesenden, mich eingeschlossen. Die vier tratschen weiter und wähnen sich in Sicherheit. Aber es geht nicht lange schmeisst er ein Puzzleteil auf den Boden. Er streckt den Arm aus. Ein Teller mit ein wenig Fleisch und Käse wird ihm vor die Nase gesetzt. Er macht kurzen Prozess und fegt den Teller vom Tisch. Ich wollte es der Mutter gerade hoch anrechnen, dass sie es mit analogem Spielzeug versucht, da ist es plötzlich still. Ich blicke von meinem Laptop auf. Das Kind sitz jetzt ruhig im Kinderstuhl und schaut gebannt auf ein Smartphone. Dort zappelt irgendein grünes Monster über den Bildschirm. Eifrig drückt der Bub auf dem Display herum bis die Figur verschwindet. Er fängt wieder an zu quengeln, reden kann er noch nicht. Mama tippt zwei, drei Mal, das nächste Filmchen flimmert, einen kurzen Moment lang gefällt ihm nochmals was er sieht. Dann «schäppert» es erneut, auch das Telefon wird Opfer der Erdanziehungskraft, gleich darauf folgen die kleinen Holzklötze, die ihm stattdessen in die Finger gedrückt wurden. Gemütlich frühstücken geht anders. Mama ist gestresst, muss immer wieder aufstehen, während der Hafermilchkaffee kalt wird. Und sie weiss genau wer daran schuld ist. Konnte sie überhaupt schon die Margarine auf ein Brötchen streichen?

Als sie sich ergibt und mit ihrem Kind am Nebentisch ein Bilderbuch ansieht, denke ich, sie hat es geschafft. Doch sie will ihm die Geschichte nicht erzählen, nicht jetzt, sie will mit ihren Freundinnen quatschen und essen. Diese versuchen sie zu unterstützen und der Junge wird wieder herumgereicht. Aber ganz egal was sie versuchen, nichts hilft für lange. Bis Mama die Idee mit dem Schoppen hat.

Währenddessen kommt ein junger Mann hinzu. Vielleicht der Vater, aufgeboten um den Kleinen abzuholen? Er setzt sich mit einem Brötchen zu den Frauen und unterhält sich gut. Während die Mutter mit dem Buben wieder herumläuft, alles versucht ihn bei Laune zu halten. Meine Vermutung war falsch, es ist wahrscheinlich/hoffentlich auch nur ein Bekannter.

Meine Zeit ist schnell vergangen und ich verlasse das sinkende Schiff. Ich habe was ich wollte und bin ausserdem froh an einem anderen Punkt im Leben zu stehen.

Die kleine Couch

Die kleine Couch mit ihrem Blumenmuster, ein Farbgemisch von hell- und dunkelrosa bis violett und verschiedenen Blautönen, stand früher in Peters Wohnung. Dieser Stil war einmal modern, Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Sie gefiel mir nie. Dazu kommt mein gespaltenes Verhältnis zu Sofas und Sesseln an fremden Orten. Es braucht einiges, damit ich mich entspannt hinsetzen und anlehnen kann. Den Kopf in irgendein Kissen sinken lassen – schwierig – eigentlich unmöglich - niemals.
Und so erging es mir auch mit dieser Couch. In unserer Hütte wartete sie nun seit einiger Zeit auf ihr Comeback. Den ganzen Sommer über stand sie an bester Lage, im hellen Raum vor der Schlafkammer. Trotzdem verspürte niemand das Bedürfnis, es sich auf dem Möbel gemütlich zu machen. Deshalb wurde sie beim Einwintern wieder aufgeladen und ins Tal hinunter transportiert.

Sie soll einen neuen Bezug bekommen. Das finde ich gut, bin aber mässig motiviert und frage mich, ob es mich für die Farbauswahl wirklich braucht. Da aber jemand beim Ausladen helfen muss, habe ich keine andere Wahl.

Wir parkieren vor dem Eingang des Geschäfts und laden die Couch aus. Die Frau ist schon jetzt begeistert, freut sich über das Möbelstück. Die Rücken- und Seitenlehnen sind schnell wieder montiert, praktisch. Die Frau steht davor, fährt mit der Hand über den Stoff, sieht sich die Machart genau an, setzt sich darauf und stellt fest, es ist noch gut im Schuss.
Woher wir das schöne Teil haben, will sie wissen. Peter kann sich nicht mehr erinnern. Irgendwo habe er die Couch mitgenommen, vermutlich auf einer Baustelle, weil sie niemand mehr wollte. (Für solche Sachen ist er Spezialist.) Er liess sie beim Innendekorateur, den es damals bei uns im Dorf noch gab, aufmöbeln und stellte sie in seine eigenen vier Wände. Als er auszog und die Wohnung zum Büro umfunktioniert wurde, diente sie als Ablagefläche und verschwand zwischenzeitlich unter Papierstapeln und anderem Bürokram.

Das hatte ich nicht gewusst oder hatte ich nie richtig zugehört. Bei mir meldet sich sofort das schlechte Gewissen und meine Sicht auf die Couch ändert sich im selben Moment. Auf einmal finde ich sie gar nicht mehr so hässlich. Die Frau bringt die Stoffmuster, weiss viel zu erzählen. Vor uns liegen Stoffe in verschiedene Farben, gestreift, gefleckt, gepunktet, blumig, tierisch, viel zu viel Auswahl. Sie bietet uns an die Muster mit nach Hause zu nehmen, um in aller Ruhe darüber zu beraten, was denn am besten passen würde. Aber das wollen wir beide nicht. Wir einigen und entscheiden uns meistens schnell und einvernehmlich. Und das ist auch heute so. 
Nun bin ich schon richtig gespannt auf das Resultat und freue mich noch mehr auf den nächsten Sommer.

Zahnarzt vs. Bank

Letztes Jahr verabschiedete sich mein Zahnarzt für immer von mir und bedankte sich für meine Treue. Ihn werde ich, wenn es sich mit meinen Zähnen so verhält wie bisher, bei der nächsten Kontrolle nicht mehr hier antreffen. Seine Pension stehe vor der Tür. Ziemlich sicher werde die Praxis weitergeführt, ich würde informiert werden. Ich nahm es zur Kenntnis. Den Brief, der irgendwann danach ins Haus flatterte, ignorierte ich aber.

Vergangene Woche dann, zeigte unser Telefon einen verpassten Anruf an und kurz darauf erreichte mich die Zahnarztpraxis. Eigentlich wollte ich zu einem Berufskollegen hier im Dorf wechseln. Anderseits war es sehr praktisch und einfach gleich einen Termin zu vereinbaren.

Zwar stellte ich ein paar Tage später fest, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, zwei Termine für den gleichen Tag und zur selben Uhrzeit abzumachen. Zahnarzt oder Bank, ich musste mich entscheiden.

Pünktlich treffe ich ein. Der Spanteppich ist verschwunden. Zwei Frauen sitzen hinter dem Empfangskorpus, eine im blauen, die andere im pinken Kasack. Die Frau in pink braucht für die Akten zwei ergänzende Angaben und ein Foto von mir. Danach begleitet sie mich ins Behandlungszimmer. Fragt nach meinem Befinden, hängt mir den Latz um und empfiehlt neue Röntgenbilder machen zu lassen. Sie legt den schweren Bleischutz über mich und steckt mir ein Plastikteil in den Mund. Als sie verschwindet, überlege ich mir, ob das jetzt die neue Zahnärztin ist und ob sie alle Arbeiten selber erledigt. Sie kommt zurück, meint es sehe gut aus, sie würde die Bilder mit der Chefin besprechen, diese komme danach gleich zu mir. Aha.

Ich warte und schaue mich um. Auch hier ist der Boden neu und alles frisch gestrichen. Auf einer Seite fehlt die Sockelleiste. Der Stuhl und die Geräte scheinen neu zu sein.

Die Zahnärztin kommt (die Frau in blau) und stellt sich kurz vor. Sie bringt mich in die richtige Position und klemmt mir das Teil, dass einem die Flüssigkeit aus dem Mund saugt, über den Unterkiefer. Die gebuchte Kontrolle mit Zahnreinigung beginnt. Selbst ist die Frau denke ich, denn es fehlt die Assistentin die bisher, das Ding hielt und jeweils irgendein belangloses Gespräch mit dem Zahnarzt führte. Es geht zügig voran, ich verspüre kaum einmal Schmerzen und das, obwohl meine Zahnhälse jedes Jahr empfindlicher werden. Als sich zweimal ein feiner Sprühregen über mein Gesicht ergiesst, sich sogar ein Tropfen bildet, der den Hals hinab rinnt, hätte ich gerne laut gelacht. Aber schwierig. Ohne einen Kommentar tupft die Zahnärztin mich trocken und arbeitet weiter. Innert Kürze hat sie oben und unten alles geputzt, die Zwischenräume mit dem kleinen Hacken ausgekratzt. Ich beobachte wie die Rückstände durch das durchsichtige Röhrchen abgesaugt werden und schliesse nochmals die Augen. Das Auftragen der Politur geht ruckzuck. Zum Schluss bekomme ich noch etwas Fluor auf die Zähne gestrichen. Und fertig.

Mit meinem Entscheid und dem Resultat bin ich zufrieden. Kann das der Banker in zwei Wochen toppen?

Viehschau

Am Morgen spanne ich als erstes das Absperrband um die Pfähle auf unserem Vorplatz. Diese haben wir schon am Vorabend in die dafür vorgesehenen Bodenhülsen gestellt. Es ist noch dunkel und regnet ganz leicht. Schade, hoffentlich kommt mit dem Tag auch besseres Wetter.

Nach dem Frühstück mache ich den Morgenspaziergang. Es sind schon mehr Leute unterwegs als üblich. Von weitem sind die ersten Schellen und Rufe zu vernehmen. Ich beeile mich, will rechtzeitig zu Hause sein, um die Auffahrt zur Schau mitzuerleben.
Nur wenige Male, habe ich in den letzten zwei Jahrzehnten, dieses jährliche Ereignis verpasst. Im Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, war die Viehschau längst ausgestorben. So kam ich erstmals bei meiner ersten Anstellung mit diesem Brauch in Berührung.

Die Kühe, der verschiedenen Abteilungen, werden von den Schauexperten begutachtet und rangiert. Das Büropersonal der Gemeinde ist jeweils mit dem Schreiben der Listen beauftragt. Auch ich war vor Jahren im Zweierteam unterwegs. Nicht immer war das Besitzerschild sofort zu sehen, musste es zwischen Ohren und Hörnern, von hinten am grossen Kopf hervorgeklaubt werden. So nahe war ich vorher noch keiner Kuh gekommen. 

Und so ist es bis heute ein spezieller Tag geblieben. Jeweils direkt vor unserer Haustüre oder in erhöhter Lage auf dem Balkon, verfolge ich den Aufzug am Morgen und die Rückkehr am späteren Nachmittag. Mittlerweile kenne ich die Bauernfamilien und fast alle Helfer:innen. Bei den meisten hat ein Generationenwechsel stattgefunden und die nächste Ablösung springt bereits in kleinen Schritten nebenher.

Das Wetter hält. Es hat mich nun doch noch auf den Schauplatz gezogen. Nacheinander werden die Vierbeiner in den Ring geführt. Junge Frauen und Männer erledigen diesen, nicht immer ganz einfachen Job. Die Anderen stärken sich in der Festwirtschaft. Dort herrscht schon reger Betrieb. Der Zmorge liegt schliesslich Stunden zurück. Im «Büro» werden die ersten Listen abgegeben und die Resultate im Computer verarbeitet.

Am Nachmittag ziehen leider dunkle Wolken auf und lassen die Missen im Regen stehen. Für die Heimkehr meint es Petrus aber nochmals gut. Wie am Morgen kündigen die Schellen, lange bevor sie an unserem Haus vorbei gehen, die nächste Gruppe an und sind, während sie die Strasse den Berg hoch erklommen, noch eine Weile zu hören. Bis die letzten ihren Hof erreichen dauert es noch einen Moment.

Es ist kühl geworden. Mit Hochdruck spritzt eine grosse Reinigungsmaschine die Strasse ab. Zusammen mit dem Wasser rinnen die Rückstände in Richtung der Rille zwischen Strasse und Vorplatz. Dort verstopfen sie die kleinen Gitter der Schächte und erinnern so noch eine Zeit lang an diesen Tag. Ich wickle das Plastikband auf und versorge die Eisenpfosten.

Spiel des Lebens

Die Stationen Berufswahl, Familiengründung, Versicherungsabschlüsse, usw. liegen hinter mir. Jetzt stehe ich sozusagen auf dem weiss eingefärbten Feld «Willst du Aktien kaufen, zahle 25'000 EINZIGE CHANCE!»

M. & P. sei Dank verfüge ich über ein angenehmes Polster auf der Bank. Das Geld ruht auf einem Konto und wirft nichts ab. Doch eigentlich sollte es sich vermehren, am liebsten ohne grossen Aufwand und ohne mein zu tun. Das funktioniert natürlich nicht. Deshalb habe ich mich vor ein paar Wochen durchgerungen und einen Termin bei einem Anlageberater vereinbart. Je näher der Termin kommt, desto unpassender finde ich ihn, den von mir gewählten Zeitpunkt. Um zu verschieben ist es zu spät, würde auch wenig nützen. Also sitze ich an diesem Nachmittag in einem nüchternen Besprechungszimmer, anstatt mit Josh einen ausgiebigen Waldspaziergang zu machen. Das Wetter spricht zwar für eine Beschäftigung unter Dach, trotzdem wäre ich in diesem Moment lieber draussen.

Mir gegenüber sitz der weisshaarige Banker mit dunkler Brille und auffälligem Ring am Finger, aber ohne Krawatte. Hinter ihm ein grosses, schönes Bild in warmen Farben. Er koppelt seinen Laptop mit dem Grossbildschirm an der Wand und ich weiss jetzt schon, das geht länger als ich gehofft habe. Ich versuche seinen Ausführungen zu folgen. Höre diese Begriffe zwar nicht zum ersten Mal, kann aber immer noch nichts damit anfangen. Zwischendurch frage ich mich, was ich hier mache und muss mich zusammennehmen, um den Faden nicht zu verlieren. Wie bei der Predigt in der Kirche schweifen meine Gedanken ab. Denke ich an dies und das, was, wie und wann ich die restlichen Aufgaben des heutigen Tages erledigen werde.

Aktien, Festgeld oder Anlagefonds, heute wäre ich risikobereit, würde meinem Bauchgefühl folgen. Ich bin mitten im Spiel, die Zeitspanne bis ich in die Altersresidenz eintreten werde, ist lang genug, um auf dem Weg dorthin noch etwas Geld anzuhäufen. Das Glück ist doch meistens auf meiner Seite. «Du bist halt ein Sonntagskind» lautete die Erklärung in meiner Kindheit. Natürlich könnte ich auch etwas Grosses, Teures kaufen, aber Status Symbole sagen mir auch im echten Leben nichts.

Der Berater spricht immer noch. Seine Erfahrung oder meine Erscheinung sagen ihm aber, dass es Zeit, ist die Sitzung zu beenden. Ein zweiter Termin bleibt mir nicht erspart. Wir verabschieden uns.

Vielleicht sollte ich an einem anderen Ort investieren und würde dann, mit Glück natürlich, auf dem Feld «Du schreibst einen Bestseller und erhältst 80'000» landen.

Eltereobet

stoht a und i denk:

Nei i säg nüt, wils nöd nu min letschte Eltereobet isch

Nei i säg nüt, will i Zucker, Brot und Peitsche nöd mag

Nei i säg nüt, will i wohrschindlich d Fassig wür verlüre

Nei i säg nüt, will sus keit öppert us allne Wolke und verletzt sich debi

Nei i säg nüt, wil alli wend dases nöd zlang goht

Nei i säg nüt, wil i anderer Asicht bi

Nei i säg nüt, wil i nöd will, dass es fürs Kind no schlimmer wird

Nei i säg nüt, wils mi ufregt, wenns immer Fehler hät

Nei i säg nüt, wils für d Lehrer au nöd eifach isch, hützutags

Nei i säg nüt, wils für d Schüler au nöd eifach isch, hützutags

Nei i säg nüt, will s Lehrmittel vorgschriebe isch

Nei i säg nüt, will i glaub mitem Francois, Simone und äm René ät mä besser glernt

Nei i säg nüt, will irgendein zuekünftige Meeresbiologe die Wörter mol cha bruche

Nei i säg nüt, will mä immer meh chönnt lerne

Nei i säg nüt, will mä au chönnt weniger lerne

Nei i säg nüt, will nöd alli alles glich guet chönd

Nei i säg nüt, will niemmert öppis für di vererbte Schwächene cha

Nei i säg nüt, will Stärkene am andere Ort lieget

Nei i säg nüt, will Regle duresetzte streng isch

Nei i säg nüt, will antiautoritär isch doch au irgendwie geil

Nei i säg nüt, will s Läbe isch kei Ofebänkli und scho gar kein Ponyhof

Nei i säg nüt, will Zit goht schnell verbi

Nei i säg nüt, wil sich Zit cha id längi züche

Nei i säg nüt, wil äs wird sich nünt ändere

Nei i säg nüt, wil Fehler meh zehled, als da wo richtig isch

Nei i säg nüt, will i froh bi wenn i jetzt weiss «les requins vivent dans toutes les mers»

 

Eltereobet isch verbi und i denk:

Schad han i nünt gseit…

Ida – Innsbruck – Island – Inn – Ingebrigtsen - indoor

Nebenan sitzen acht junge, französischsprechende Männer. Es hat mich wieder einmal viel Überwindung gekostet mich zu entscheiden und ein Restaurant zu finden. Aber es ist 13:00 Uhr, ich habe Durst und Hunger. Es ist heiss in der Stadt, deshalb wählte ich den äussersten Tisch, unter einem schattenspendenden, grossen Sonnenschirm und ich stelle fest, mit direktem Blick auf die Hauptattraktion der Tiroler Landeshauptstadt. Genau, da bin ich gelandet. Zu verdanken habe ich das unserer hartnäckigen Tochter.

«Goldener Adler», bequeme Stühle, eine Speisekarte, auf der mich ein Menu sofort angesprochen hat. Der Preis stand nirgends, einen kurzen Moment kommt mir der Gedanke, dass es teuer sein könnte. Diesen verwerfe ich sofort wieder, denn ich habe das gut gefüllte Euro-Portemonnaie dabei und zum Shoppen werde ich gar nicht gross kommen (wollen). Ich habe mich mehr als eine Stunde durch die Innenstadt treiben lassen. Bin in einem Buchladen gewesen, habe über die vielen Souvenirläden gestaunt und bin in einem neuen, cleanen Einkaufszentrum auf die Toilette gegangen.
Mein Essen wird serviert. Büffelmozzarella auf Grillgemüse, zwei «Stiefmüetterli»-Blüten bringen Farbe auf den Teller – sieht nach einer guten Wahl aus.

Ein Frontlader fährt ganz nahe an meinem Tisch vorbei. Auch hier sind die Bauarbeiten noch voll im Gange. Der Platz vor dem «goldenen Dacherl» erhält eine neue Pflästerung.

Am Morgen sind Fiona und ich kurz vor acht Uhr in den Rail Jet nach Innsbruck gestiegen. Sie wollte hier eine «Freundin» treffen, die sie bis jetzt noch nie gesehen hat. Es handelt sich dabei um eine Insta-Bekanntschaft. Ich war skeptisch, obwohl die bisherigen Zusammentreffen mit Freundinnen aus der Schweiz, mit dem gleichen Status, gut verlaufen sind. Es handelte sich bis jetzt tatsächlich «nur» um turnende Mädchen im Teenageralter. (Ein weiterer Big Pack mit Pflastersteinen wird an mir vorbei transportiert). Deshalb entschloss ich mich sie zu begleiten und ihr bei der fast sechsstündigen Zugfahrt Gesellschaft zu leisten. Die Zeit ging tatsächlich schnell vorbei. Mit WLAN im Zug, konnten wir das Handy noch ein bisschen benutzen und einige Runden «Stadt Land Fluss» leisteten ihren Beitrag zum Zeitvertreib.

Am Hauptbahnhof in Innsbruck war ich froh über meine Anwesenheit. Fühlte ich mich ja im Vorfeld etwas sehr genötigt meine Komfortzone zu verlassen. Hätte ich lieber das getan, was ich immer tu. (Ein weiterer Pflastersteintransport bahnt sich seinen Weg durch die Touristen). Jetzt bin ich zufrieden und es ist so, wie ich es gehofft habe.

Wir konnten ein Busticket für den ganzen Tag lösen, haben den richtigen Bus erwischt, sind bei der korrekten Haltestelle ausgestiegen und nach einem kleinen Umweg, haben wir auch die notierte Adresse gefunden. Aus der Tür kam ein ganz normales Mädchen (weite Hose, kurzes Top).
Zurück bei der Haltestelle, diesmal mit Abkürzung, stieg ich wieder in den Bus der mich zurück in die Innenstadt brachte.

Ein paar Stunden ganz für mich. Zeit zum beobachten, denken und schreiben.
Einen «Verlängerten» konnte ich noch bestellen, ein Dessert, ich hätte da an Marillenknödel gedacht, wollten die Kellner mir nicht verkaufen. Inzwischen ist es sowieso Zeit mich zum vereinbarten Treffpunkt aufzumachen. Eine Kugel Erdbeerglace versüsst mir den Weg bis zur nächsten Bushaltestelle. 

Sommerluft - Sommerduft

Lange mussten wir warten und Beständigkeit will sich nicht einstellen. Aber wenn er da ist, der Sommer, ist er warm. Bewegen sich die Temperaturen um die 30° Grad, suchen wir Abkühlung, ist es uns schnell zu heiss. Eingekauft wird am Morgen. Am Nachmittag ist die Strasse vor unserem Haus beinahe leer. Die meisten der Daheimgebliebenen werden sich in den Schatten, in Badis oder höhere Lagen verzogen haben. Ab und zu rattert ein Ladewagen, ein Traktor vorbei. Die Landwirte haben zu tun. Das Gras trocknet nicht im Schatten. Auch unsere Coiffeuse hält eisern die Stellung, hat einen vollen Terminkalender (und eine Klimaanlage), verpasst den Letzten eine Sommerfrisur.

Es ist die Zeit, in der im Garten geerntet werden kann, was vor Wochen als kleine Pflänzchen eingesetzt wurde. Die ersten Tomaten verfärben sich rot. Gurken werden in nächster Zeit täglich aufgetischt, mittags und abends.
Wie im Schlaraffenland kann ich jeden Tag Brombeeren pflücken und bereits am nächsten Abend hat es wieder ebenso viele. Der Gefrierschrank platzt aus allen Nähten, ist doch noch letzten Monat eine Fleischlieferung eingetroffen. Ja, mein Tiefgefrier-Management könnte besser sein.

Das Angebot im Hofladen ist gross und vielfältig. Ich gerate jedes Mal in einen kleinen Kaufrausch und trage deshalb regelmässig zu viel nach Hause. Dass in dieser Zeit nicht immer alle zu Hause sind und der ganze Tagesablauf unregelmässiger ist, wirkt sich auf die Essgewohnheiten aus. Die Aprikosen, die ich vorgestern gekauft habe, weisen schon ein paar braune Stellen auf und sollten gegessen werden. Aber heute konnte ich den Kirschen nicht widerstehen, es sind bald die letzten. Deshalb entscheide ich mich für eine Variante, für die ich normalerweise zu faul bin – Konfitüre.
Ich wasche, schneide, wäge, mixe, gebe Zucker in die Pfanne und schalte die Herdplatte auf die höchste Stufe. Sobald sich die Masse erwärmt, steigt ein fruchtig-süsser Duft auf. Sommer denke ich. So riecht Sommer für mich. Bei warmen Temperaturen in der Küche stehen und die Früchte dieser Jahreszeit für die kalten, trüben Tage in Gläser haltbar machen.

Der Geruch «beamt» mich in Gedanken weit zurück. Von der Badi nach Hause kommen, die Badetücher in der Scheune an die Wäscheleine hängen. Dort drin ist es schattig, aber genauso warm wie draussen, helles Licht dringt durch die Bretterwand. Ein Gemisch aus Holz, Staub liegt in der Luft, meine Haut riecht nach Sonnencreme und Weiher. In der Küche ist es angenehmer, in zwei grossen Pfannen sprudelt, die rote, violette oder orange Flüssigkeit und heizt den Raum auf.

Auf einmal weiss ich, was ich heute noch unternehmen werde.

Bücher

Ich sitze im Schlafzimmer vor dem Regal. Schon lange will ich es aufräumen. Es stapeln sich Bücher auf Bücher, obwohl ich viel öfter als früher welche aus der Bibliothek leihe. Aber zwischendurch gibt es ein neues, wie gerade jetzt vor den Ferien. Den Mittelstreifenblues von Alice Gabathuler, mal sehen ob das Cover hält was es verspricht ;-).

Ausserdem in diesem Gestell versorgt sind meine CD’s, unsere Langspielplatten, die Fotoalben, die Zahntrücklis, Kinderbasteleien, Dekodinge.

Eine Idee habe ich schon, wie ich wieder etwas Ordnung reinbringen kann. Das Abteil mit den leeren Notizheften und der Schachtel mit den leeren Grusskarten muss Platz machen. Für sie ist etwas im Wohnzimmer frei geworden.

Zuerst nehme ich die überzähligen Bücher heraus. Darunter hat es solche, die ich noch gar nicht gelesen habe und es wahrscheinlich auch nie tun werde. Dann liegen dort jene (Barbara stirbt nicht, Tell, Gipfelstürmer,...), die ich ausgeliehen hatte. Sie warten seit ihrer Rückkehr auf einen freien Platz. Speziell sind jene (Ein Winter in Paris, Jack), die ich zwar gelesen habe, aber nichts über sie erzählen kann. Ich habe es nicht vergessen. Nein, ich weiss nicht um was es ging, habe es beim Lesen nicht gemerkt und nicht verstanden. Dafür erinnere ich mich noch, wo und wann ich sie gekauft habe. Nämlich beim ersten Mal «einschliessen und geniessen». Unerklärlich, warum sie mich angesprochen haben. Mittlerweile haben, meine Freundinnen und ich, schon dreimal dieses Angebot von Buchläden und Bibliotheken genutzt. Einen Abend ungestört, unbeaufsichtigt und ohne Zeitdruck in Büchern stöbern, lesen, dazwischen essen, trinken, schwatzen. Beim zweiten Mal war ich übrigens vorsichtiger mit der Wahl. Auf keinen Fall wollte ich nochmals den gleichen Fehler machen. Das hat sich gelohnt (Dass es überraschend kommt, habe ich erwartet).

Zurück zu meinen Büchern. Einige (Ein Freund, Ein Engel über deinem Grab) stehen schon zwei Jahrzehnte da und werden wahrscheinlich nie mehr von irgendjemandem gelesen. Wenn ich sie ansehe, weiss ich, dass sie mir damals gefallen haben oder sie erinnern mich an einen ganz bestimmten Zeitpunkt in meinem Leben (Betty Blue). Zum Teil fand ich sie richtig gut und das berechtigt ihren Stammplatz (Schattwand, Mein Leben als Pinguin, Ove, Der Tag, an dem der Goldfisch aus dem 27. Stock fiel). Trennen ist schwierig und das trifft auf einige zu. Und natürlich verabschiede ich mich auch nicht von Liebesgeschichten, Komödien oder den Klassikern (Trainspotting, Small World). 

Muss ich auch gar nicht. Mit dem Staublappen wische ich über die freigewordene Fläche und stelle die Bücher an ihren neuen Platz.

Taschenrechnerräuber

Ich starte gleich durch. Und wahrscheinlich genau deshalb, bekomme ich die Information, dass der Taschenrechner aus dem Thek verschwunden ist, erst kurz bevor Schüler:in das Haus verlässt. «Da kann man nichts mehr machen. Das Etikett mit meinem Namen drauf klebte bei mir an der Garderobe. Den findet man nie wieder.»

Das  nervt mich noch mehr. Denn das bedeutet ja ganz klar, jemand hat es genau auf diesen Taschenrechner abgesehen. Und das in der letzten Schulwoche, heisst die Person braucht ihn nicht dringend, um schwierige Hausaufgaben oder eine Prüfung zu lösen. Dafür hätte ich noch Verständnis. Nein, es geht hier entweder um ein zwischenmenschliches Problem oder, und das ist wahrscheinlicher, um gar nichts. Und ich überlege noch, was mich mehr stört.

Es nützt auch nichts, wegen dieser Sache einen Aufstand zu machen, das ist mir klar. Vier Tage vor den Sommerferien fiebern nicht nur Schüler:innen dem letzten Schultag entgegen. Nicht das erste Mal, lässt man es dann einfach sein und hofft die Gesellschaft ändere sich irgendwann wieder. Vertröstet sich selbst mit dem Wissen, dass ein Ende in Sicht ist und auch die nächsten 365 Tage schnell vergehen werden. Trotzdem würde ich gerne allen, die es nötig haben, ihre Einfältigkeit um die Ohren hauen. Würde ich ein Drehbuch für einen Hollywood Highschool-Streifen schreiben, würde an dieser Stelle die Mutter, wie eine schnaubende Mutterkuh, mit diesem Text, die sowieso überbewertete Schulabschlussfeier, «crashen». Es gäbe einen Aufruhr und schlussendlich ein Happy End. Vielleicht würde jemand nach Hause gehen und seine ganzen digitalen Geräte, Gelnägel oder was auch immer in den Steamer stopfen, Start drücken und warten bis alles explodiert (Diese Szene wäre zwar auch geklaut, aus Breakfast-Club, ein Film aus den 80er). 

Oder ich könnte aus Protest einfach meinen Beitrag zur Abschlussfeier vergessen oder besser noch dem Salat ein falsches Gewürz beimischen. Aber lieber möchte ich mich nicht auf ein solches Niveau herablassen. Deshalb mache ich meinem Ärger Luft, in dem ich diese Zeilen schreibe und dabei noch abwäge, ob ich sie überhaupt jemandem zeigen werde.

Wenn ja, hallo Taschenrechnerräuber:in, schalt dein Gehirn ein und ändere deine Lebenseinstellung, besser heute als morgen, aber vielleicht spätestens in vier/fünf Wochen. Denn in dieser Welt wartet niemand auf dich.

Von da nach dort

Pünktlich lade ich die Unihockey-Girls bei der Turnhalle ab. Für die Ausstellung ist es noch zu früh, also mache ich mich doch noch auf die Suche nach einer Regenhose. Da die Läden erst vor kurzem geöffnet haben, finde ich problemlos einen Parkplatz. Das Gesuchte finde ich leider nicht, komme aber trotzdem nicht mit leeren Händen aus dem Geschäft.

Und jetzt ist es Zeit, die Ausstellung öffnet in Kürze ihre Türen. Ich hoffe, ich schaffe es noch rechtzeitig. Zurück auf dem gleichen Weg, muss ich bei einer Verzweigung einfach eine andere Richtung einschlagen. Alles kein Problem. Bis jetzt. Die Strasse wird schmaler, die Geschwindigkeitsbegrenzung reduziert sich, dann Kopfsteinpflaster und schlussendlich ein allgemeines Fahrverbot, die Strasse ist gesperrt. Um die Kirche versammeln sich elegant gekleidete Menschen, die Glocken läuten. Ok, ich wende mein Fahrzeug und halte Ausschau nach einer Parkmöglichkeit. Aber die Privatplätze sind gut sichtbar gekennzeichnet. Keine Chance, also fahre ich noch weiter zurück. Jetzt bin ich schon wieder im anderen Dorf und noch dazu auf der anderen Seite der Bahnlinie. Beim Warenhaus hat es zwar Parkplätze, aber ich keine Ahnung, wie ich von dort am schnellsten zum Ziel komme. Ich versuche es von der anderen Seite. Die Strasse wird wieder enger. Ich erspähe ein grosses Parkplatzschild.
Blauäugig, naiv und ganz nach dem Motto «die Hoffnung stirbt zuletzt» lenke ich unseren 9-Plätzer-Bus Richtung Schulhaus. Was hatte ich mir nur gedacht. Ein Städtchen, in dem der samstägliche Wochenmarkt, eine Hochzeit, das Schlossfest und eine Ausstellung stattfindet, da ist logisch alles besetzt. Ich wünsche mir den kleinen, roten Suzuki swift herbei, den hätte ich schon längst irgendwo abgestellt. Aber nein, im Rückwärtsgang (wenden unmöglich) mache ich mich davon. Als ich es fast geschafft habe, hupt es, das war ich selbst. Ringsherum ist niemand zu sehen, doch langsam komme ich ins Schwitzen, die Zeit läuft mir davon.
Wieder unten auf der Hauptverkehrsachse angekommen, entdecke ich endlich freie, weiss markierte Felder mit dem Hinweis einer zentralen Parkuhr. Also nichts wie hin. Den Blumenstrauss nicht vergessen und zügig zurück ins Städtli.

Das Rathaus zu finden ist nun eine einfache Sache. Eine rotbackige, glückliche Theres begrüsst ihre Gäste und findet überhaupt nicht, dass ich zu spät bin. Ich überreiche ihr die Blumen, nur um sie gleich wieder an mich zu nehmen, auch sie haben Durst.

Nun habe ich Zeit für einen Rundgang. Am besten gefällt mir das Bild mit Blick aus dem Traktor auf die Felder oder das mit dem Mädchen in den Gummistiefeln vor einer riesigen Pfütze. Aber auch die Zwiebeln, das bis oben mit Käselaiben gefüllte Fahrzeug (ein Lada?) oder die mutige Tanne sind faszinierend in ihrer natürlichen, detailgetreuen Art. Unsere Eröffnungsreden hat Theres ausgedruckt und aufgehängt. Es passt gut so wie es ist. Gratulation!

Die Uhrzeiger rücken vor, ich muss mich wieder verabschieden und beeilen. Kann die Unihockeyanerinnen nicht zu lange warten lassen. 

Wellen

Als ich erwache ist sie bereits da, die nächste heisse Welle. Sie überrollt mich und hinterlässt auf meinem ganzen Körper eine feuchte Schicht. Jeden einzelnen Tropfen glaube ich zu spüren oder anders gesagt: ich bin klatschnass.
Ich drehe mich um. Durch den Spalt unten an der Tür dringt Licht ins Zimmer, Zeit bald aufzustehen und doch noch zu früh dafür. Erstmals muss die Decke weg und zwar ganz. Ruhig liege ich da und warte, bis sich die Flut in Ebbe verwandelt und ich mich wieder zudecken kann. Das Schauspiel der Gezeiten wollte ich schon immer mal miterleben, aber eigentlich lieber am Meer.

Sie kommen im Moment öfter, mittlerweile auch am Tag. Als ob die Temperatur in der Küche nicht schon aufgeheizt genug wäre, noch dazu mit den warmen Frühlingsstürmen. So überfallen mich die Hitzewellen unverhofft, während ich Gemüse rüste oder eine Pfanne auf den Herd stelle.
Nie wollte ich eine Frau werden, die immer und überall zu heiss hat und unvermittelt anfängt Fenster aufzureissen. Aber bald scheint es so weit zu sein. Eigentlich schon viel zu müde, sass ich bei Fiona im Zimmer, um ihr bei einer Aufgabe zu helfen. Plötzlich überkam mich wieder eine Welle und ich konnte mich überhaupt nicht mehr konzentrieren. Auf meinen Befehl öffnete Fiona das Fenster, ich entschuldigte mich sogleich bei ihr. Sie meinte nur: «Das haben, glaube ich, noch mehr Mütter». Sie hätten das letzte Mal beim Essen in der Kochschule besprochen.

Das Wetter-App kann ich schon bald deinstallieren. Meine Daumengelenke und der lädierte Zeigfinger zeigen mir den Wetterwechsel an.
Es ist noch nicht lange her, sah ich kein Problem darin, ein Essiggurkenglas zu öffnen und konnte mir nicht vorstellen, dass einem nach 50 Minuten Fitnesstraining die Handgelenke schmerzen könnten. Mittlerweile wähle ich andere Varianten oder stütze mich, affenähnlich, auf den Fäusten ab.

Als würde das nicht genügen wird die Sicht ebenfalls immer schlechter. Nicht die in die Ferne, die ist seit Jahren nicht gut, aber wenigstens stabil. Es ist die Kurzsichtigkeit. Alles muss man sich, in der genau richtigen Entfernung vor die Augen halten, um es deutlich sehen und lesen zu können. Um dem abzuhelfen, probierte ich beim Einkaufen eine Lesebrille. Als erstes nahm ich eine mit einer leichten Korrektur und testete die Sicht gleich am Kleingedruckten einer Raviolibüchse. Zum Vergleich nahm ich noch eine andere aus dem Gestell. Kaum hatte ich sie auf der Nase, überkam mich Übelkeit und die ganze Welt geriet ins Wanken.

Aber zum Glück habe ich festen Boden unter meinen Füssen, Freundinnen mit denen ich diskutieren und alles teilen kann, eine Familie die mich trotzdem liebt und einen Kanal auf dem ich alles loswerden kann.

Der Morgen (danach)

Als ich erwache ist es schon ein bisschen hell. Es ist Morgen. Sonntagmorgen. Um aufzustehen ist es zu früh und auch zu schön im eigenen Bett. Die Waschmaschine sollte schon bei der Arbeit sein. Ich vermisse eines meiner beiden Kissen. Egal, ich drehe mich auf den Bauch. Ab und zu fährt ein Auto vorbei. Die Türkentauben sind ebenfalls schon unterwegs und rufen sich gegenseitig ihr «uhu uhu uhu» zu. Spatzen tschilpen. Ob das schon die Jungen sind, die auf unserem Firstbalken ihr Nest haben? Ansonsten ist es ruhig, aber bald kommt Leben in die Dorfstrasse. Von sechs bis halb acht bringen die Bauern ihre Milch in die Molki. Ich suche nochmals nach dem Kissen und entdecke es im Spiegel, es liegt hinter dem Bettende am Boden. Was habe ich wohl geträumt. Ein paar Erinnerungsfetzen sind noch hängen geblieben, etwas Komisches, in Worten nicht auszudrücken. Ich lege mich auf die Seite, stopfe das Kissen unter den Kopf und döse. Die erste Milchtanse wird geöffnet, der Deckel macht ein unverwechselbares Geräusch.
Auf meinem Gestell neben dem Bett stapeln sich Bücher, die Osterhasen lächeln und warten darauf gegessen zu werden.

Peter schläft noch. Wir sind alle müde von den letzten drei Tagen. Schön war es. Der Schnee, die Pisten, die Stimmung, das Wetter, wenn auch ein paar Grad zu warm. Von einem Lift zum anderen gewechselt, so viel verschiedene Hänge wie möglich, ob blau, rot oder schwarz markiert, hinuntergefahren. Erst am dritten Tag habe ich mich mal ausgeklinkt, ansonsten bin ich überall hinterher gebrettert. Geduldig, ohne sich zu beschweren haben die anderen auf mich gewartet. Nie fiel eine abschätzige Bemerkung, nein das gibt es bei uns nicht, darauf bin ich manchmal stolz.

Ich muss die Position wieder wechseln. Meine Hand kribbelt, ich spüre sie nicht mehr richtig, sie ist eingeschlafen, ich nicht.
Inzwischen kommt ein «Milchler» nach dem anderen. Während der eine mit dem Absaugschlauch seinen Behälter leert, wartet der nächste meistens schon. Zeit für einen Schwatz miteinander oder mit demjenigen der die Milch annimmt. Sie mögen schon reden, schliesslich sind sie schon lange wach, haben all ihre Kühe gemolken. Einige markante Stimmen können wir dem «Besitzer» vom Bett aus zuordnen. Meistens versteht man nur das «Tschou»
In den letzten Jahren haben sich die meisten einen Tank angeschafft, so müssen sie nicht mehr morgens und abends zum Milch abgeben kommen. Ein paar wenige haben die Tansen noch im Auto oder auf dem Anhänger geladen. Letzteres scheppert und kleppert am meisten, wenn sie leer sind und über die Schachtdeckel gefahren werden.

Inzwischen ist das Bett neben mir leer. Peter besorgt den Sonntagszopf. Ich bleibe noch liegen und hänge meinen Gedanken nach, nutze die Zeit sie in Worte zu fassen und auf «Papier» zu bringen. Und bevor mir alles wehtut, stehe auch ich auf.

Der Typ von Nirvana

Warum ich immer wieder in der Vergangenheit stöbere? Das beruht wahrscheinlich auf folgenden zwei Ursachen. 1. Unsere Kinder werden älter und ich frage mich ab und zu, wo und wie war ich damals unterwegs. Und 2. lassen einem die Vorkommnisse der letzten Zeit auch über das eigene Leben nachdenken.

Zwei Destinationen standen für die Abschlussreise der KV-Klassen zur Auswahl, Andalusien oder Berlin. Ich schloss mich meinem Kollegenkreis an und befand mich deshalb vor genau 30 Jahren in der deutschen Hauptstadt. Unser Programm: ein Besuch bei Madame Tussaud und im Botanischen Garten, zweimal fremdländisches Nachtessen (indisch und mexikanisch?), eine Velotour entlang der Mauer oder was davon übrig war und das Museum beim Checkpoint Charlie.
Meine Erinnerungen: viel Verkehr, Baustellen, scharfes Essen, eindrückliche Fluchtgeschichten, einen Schuhfehlkauf (zu Hause nie wirklich getragen) und Kurt Cobain starb. Diese Nachricht flimmerte in der Endlosschleife über den Fernsehbildschirm im Frühstücksraum des Hotels.

Nein, ich war nicht am Boden zerstört, aber es blieb einer dieser Tage, von denen man weiss wie man ihn verbracht hatte.

Letztes Jahr habe ich mir das Buch «the Storyteller» von Dave Grohl geschenkt. Der Typ von Nirvana, wie er sich selbst im Buch bezeichnet.

Dave Grohl war mir immer sympathisch. Vielleicht deshalb, weil mir schon als Jugendliche nie der Frontmann einer Band am besten gefiel. Meistens war dieser auch schon von meiner besten Freundin «besetzt». Angefangen bei a-ha bis hin zu Züri West, schwärmte ich für die Gitarristen. Und im Fall von Nirvana eben für den Schlagzeuger.

Es interessierte mich, was er zu erzählen hat. Was beschäftigt jemanden, der mit seiner Band Geschichte geschrieben hat. Das Buch las sich leicht und Dave Grohl ist so «cool» wie ich es mir erhofft hatte. Er erzählt von seiner engen Beziehung zu seiner Mutter, von Vaterstolz, vom Anfang und Niedergang Nirvanas, von traurigen Nachrichten, gebrochen Beinen, seiner aktuellen Band den Foo Fighters. Keine detailliert beschriebene Alkoholexzesse, immer positiv und lebensfroh. Ganz anderes als das Buch von Mark Lenegan (Screaming Trees) «Alles Dunkle dieser Welt», mein Geburtstagsgeschenk im Vorjahr. Dreckig, abgründig, eklig, aber spannend, ein tiefer Tauchgang in die Welt des Grunge.

Auf dem Weg in den Buchladen tönt «I love Rock N’ Roll» von Joan Jett aus den Lautsprechern. Ich drehe an der Lautstärke, dann Stilbruch mit Rick Astleys «Never gonna give you up». Ein Zufall, aber wie ich nach dieser Lektüre weiss, gibt es sogar da Gemeinsamkeiten. 
Bin gespannt welches Buch mich dieses Jahr aussuchen wird.

Verschwundene Gegenstände

Oft war ich nicht krank als Kind und wenn, dann nur Fieber, eine Magenverstimmung oder Mittelohrentzündung. Wahrscheinlich sind deshalb die Erinnerungen daran überwiegend positiv. Wir wohnten in einem alten Haus. Der Kachelofen wärmte Küche, Stube und Badezimmer. Das hiess, in den Wintermonaten waren unsere Schlafzimmer im Obergeschoss kalt. Deshalb funktionierte unsere Mutter immer das Kanapee in der «kleinen» Stube" als Krankenbett um. Sie bezog es mit einem frischen, weissen Leintuch, holte einem das eigene Kissen aus dem Bett und deckte uns mit einer Steppdecke zu.

So war man Nahe bei der restlichen Familie und dem Alltagsgeschehen. Konnte jederzeit rufen und wurde auch gehört, was aus meinem Zimmer im Dachgeschoss unmöglich und umständlich gewesen wäre. Kam unser Vater von der Arbeit nach Hause, schaute er, noch bevor er an den Tisch sass, vorbei um zu sehen wie es einem geht. Die Gespräche drangen gedämpft von der Küche ans Krankenbett. Fühlte man sich besser, konnte man sich dazu setzen, aber auch schnell wieder verschwinden. Der Fernseher und die Stereoanlage befanden sich ebenfalls dort. Für Unterhaltung war also auch gesorgt.Nebst Tee und Zwieback kochte Mama «Chüngelisuppe» und erfüllte spezielle Wünsche und Gelüste.

Um die Temperatur zu messen kam der Fibermesser zum Einsatz. Dieser war immer gut versorgt und es galt vorsichtig damit umzugehen. Der Glasthermometer steckte in einer durchsichtigen Plastikhülle. Er durfte auf keinen Fall Schaden nehmen, denn er enthielt das hochgiftige Quecksilber. Von der silbrigen Spitze aus, zog sich in der Mitte ein gelber Strich über die ganze Länge, rechts und links davon waren die Zahlen der Temperaturen auf weissem oder gelbem Hintergrund abgebildet. Zwischen der 35 und der 42, war die Zahl 37 rot eingefärbt. Als Vorbereitung nahm ihn meine Mutter in die Hand, um die noch angezeigte Messung «herunter zuschlagen». So ganz locker aus dem Handgelenk, dabei entstand ein ganz spezielles Geräusch von dem ich bis heute nicht sagen kann, von was es kam. War es die Hand, das Handgelenk oder der blaue Strich der kleiner wurde, also die Reaktion des Fibermessers? Wenn ich es selber versuchte klang es nie gleich. Es war so etwas, dass nur Erwachsene konnten, man aber selber auch gerne können wollte. Wie zum Beispiel das Mischen der Jasskarten. Anschliessend musste der Fibermesser zehn Minuten unter die Achselhöhle geklemmt werden, so lange galt es still zu sitzen, den Arm ruhig zu halten. Am blauen Strich, der durch die Wärme in die Höhe kletterte, konnte die Körpertemperatur abgelesen werden. Beim nächsten Mal, musste wieder geschüttelt werden.

Diese Fibermesser sind verschwunden. Erst wurden sie durch solche mit digitaler Anzeige und Pfeifton ersetzt. Heute ist sogar kontaktloses Fibermessen mit sekundenschnellem Resultat möglich. Die Krankheiten sind trotzdem geblieben.

Wenn ich heute einmal krank bin, werde ich von meiner Familie vor allem in Ruhe gelassen. Dann denke ich, mit ein bisschen Wehmut, an unsere Mutter und unser Kanapee zurück. Mittlerweile sind beide ebenfalls aus meinem Leben verschwunden. Das ist der Lauf des Lebens und der Zeit. Erinnerungen, Relikte, aus einer nimmer wiederkehrenden Zeit.

Würfelspiel

Die Woche geht langsam zu Ende, es ist Sonntag später Nachmittag. Ich bin soeben nach Hause gekommen. Eigentlich würde ich gerne bügeln und dazu meinen Lieblings-Podcast hören. Lukas wäre noch für ein Spiel zu haben, die Teenagerinnen sind in ihren Zimmern beschäftigt, mit Peter sind wir also zu dritt.

Die Frage ist nun einfach welches Spiel. Bei Rummikub verliere ich immer. Qwixx, da stehen meine Chancen besser, letzte Woche konnte ich zweimal gewinnen. Aber nicht alle wollen eine Revanche. Jassen oder würfeln, wir entscheiden uns für Yatzy, eine Premiere.

Für mich ein ideales Spiel, denn es braucht vor allem Glück. Dem Taktiker sagt das weniger zu, er hält sich aber gut und nach einem günstigen Verlauf in der ersten Runde, siegt er mit zehn Punkten Vorsprung.

Wir machen eine kleine Pause. Während ich etwas zu trinken hole, erinnere ich mich plötzlich an das Lied «Das Leben ist ein Würfelspiel». Schon lange nicht mehr daran gedacht und schon gar nicht gehört. Ein altes Soldatenlied und früher in jedem Singbüchlein zu finden. Ich verbinde es mit meiner Kindheit. Es war eines, dass wir oft während den Autofahrten zum besten gaben. Ein Radio gehörte damals noch nicht zur Standartausstattung eines Autos.
Die Melodie summt in meinem Kopf. Das Spiel geht weiter, ich belege nochmals Rang 2.

Seither taucht immer wieder eine Textzeile aus meinem Unterbewusstsein auf und dringt an die Oberfläche.

¯ «Das Leben ist ein Würfelspiel, wir würfeln alle Tage» Nach dem Nachtessen, bügle ich die angestaute Wäsche. ¯ «dem einen bringt das Schicksal viel, dem anderen nichts als Plage». Beim abstauben am nächsten Morgen, sehe ich uns im roten Mini sitzen und voller Inbrunst den Refrain schmettern. ¯«drum auf Kameraden den Becher zur Hand, zwei Sechser auf den Tisch, ja auf den Tisch, der eine ist fürs Vaterland der andere ist für mich».

Dieses Lied gefiel mir sehr, besser als «Hoch auf dem gelben Wagen». Jetzt lösen die Zeilen noch andere Erinnerungen aus. Nämlich jene an unser Familienauto, einen roten Mini Clubman, ausgestattet mit selbstgenähten, rotweiss-karierten Sitzüberzügen, passend dazu für uns Kinder je ein Kissen. Darauf war bei jedem ein Herz appliziert, ebenfalls mit einem rotweiss oder weissrot gemusterten Stoff. Voll beladen fuhren wir so in unsere ersten Sommer- und Skiferien.

Irgendwann war der Platz doch etwas knapp. Mit dem Kauf eines Subaru Libero 4x4, endeten unsere Gesangskarrieren und eine neue Ära brach an. Musik aus dem Radio und ab Kassette hielt Einzug und auch die Ferien wurden komfortabler.