Das garstige Wetter warf die Pläne für den Wintersport über den Haufen. Ich brauchte dringend einen Tapetenwechsel, da auch mein Training am Vorabend ausgefallen war. Spontan entschied ich mich an einem Angebot der Bibliothek teilzunehmen. Um mich anzumelden, wie eigentlich erwünscht, blieb keine Zeit. Meine Entscheidung fiel erst 20 Minuten vor Beginn.
Ich hatte keine grosse Vorstellung wie der Abend ablaufen würde – Kreatives Lesen. Gespannt wer da alles teilnehmen würde, parkierte ich vor dem Gebäude. Die Fenster waren beleuchtet und die Tür unverschlossen. Ein gutes Zeichen, da war sicher noch jemand da. Ich war nicht die Erste und nicht die letzte der kleinen Gruppe. Schlussendlich versammelten sich sieben Frauen, unterschiedlichen Alters, um den ovalen Tisch.
Während der Begrüssung, stellte ich fest, dass es für das Bevorstehende auch einen englischen Begriff gibt, nämlich shared reading. Hätte ich das gewusst, wäre ich wahrscheinlich nicht gegangen. Aber jetzt war ich hier und Anja wirkte sympathisch. Die deutsche Sprache verlieh dem ganzen etwas Professionelles und versprühte einen Hauch von Fernsehen, ein bisschen wie Literaturclub.
Sie stellte kurz das Buch vor, von dem sie Ausschnitte für alle kopiert hatte und begann mit dem Vorlesen. Es stand jedem frei, selber mitzulesen oder nur zuzuhören.
Die Ausgangslage.
Jede volljährige Person erhält eine kleine Box. Sie ist aus Holz und mit dem Namen angeschrieben. Eines Morgens ist sie einfach da, über Nacht vor die Haustür, das Zelt, die Hütte geliefert, auf der ganzen Welt.
In der Box befindet sich eine einfache und doch rätselhafte Botschaft: «Das Innere birgt das Mass deines Lebens». Dazu, unter einem silberweissen Stück zarten Stoffs verborgen, ein einzelner Faden.
Noch bevor Nina ihre Freundin Maura aufweckt, laufen die Social-media Kanäle heiss. Schon bald wird klar, der Faden zeigt an wie lange jeder noch zu leben hat. Nicht alle öffnen die Box, nicht alle wollen das Resultat wissen. Irgendwann hält es Maura nicht mehr aus. Zusammen öffnen sie die kleine Kiste und machen eine traurige Entdeckung.
Nach jedem Abschnitt, sprachen wir über das Gelesene. Wir stellten einige Parallelen zur Corona-Pandemie fest.
Was würde es mit uns machen? Angenommen ich hätte einen kurzen Faden. Mein erster Gedanke, der Klassiker: alles tun was ich schon immer wollte. Und nach kurzem Überlegen: Wären die Anderen, die mit den langen Fäden, bereit weiterzuarbeiten und einen normalen Alltag zu führen, während die Kurzfäden nur tun und lassen was Spass macht?
Mir geht es wie Anna, ich hätte mich selbst wahrscheinlich nie entschieden ein solches Buch zu lesen. Trotzdem oder gerade deshalb war es spannend. Die Vorstellung, dass so etwas passieren könnte und die Gedanken dazu, beschäftigten mich noch ein paar Tage länger.
Wer mehr erfahren will, liest «Die Vorhersage» von Nikki Erlick