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Sommerluft - Sommerduft

Lange mussten wir warten und Beständigkeit will sich nicht einstellen. Aber wenn er da ist, der Sommer, ist er warm. Bewegen sich die Temperaturen um die 30° Grad, suchen wir Abkühlung, ist es uns schnell zu heiss. Eingekauft wird am Morgen. Am Nachmittag ist die Strasse vor unserem Haus beinahe leer. Die meisten der Daheimgebliebenen werden sich in den Schatten, in Badis oder höhere Lagen verzogen haben. Ab und zu rattert ein Ladewagen, ein Traktor vorbei. Die Landwirte haben zu tun. Das Gras trocknet nicht im Schatten. Auch unsere Coiffeuse hält eisern die Stellung, hat einen vollen Terminkalender (und eine Klimaanlage), verpasst den Letzten eine Sommerfrisur.

Es ist die Zeit, in der im Garten geerntet werden kann, was vor Wochen als kleine Pflänzchen eingesetzt wurde. Die ersten Tomaten verfärben sich rot. Gurken werden in nächster Zeit täglich aufgetischt, mittags und abends.
Wie im Schlaraffenland kann ich jeden Tag Brombeeren pflücken und bereits am nächsten Abend hat es wieder ebenso viele. Der Gefrierschrank platzt aus allen Nähten, ist doch noch letzten Monat eine Fleischlieferung eingetroffen. Ja, mein Tiefgefrier-Management könnte besser sein.

Das Angebot im Hofladen ist gross und vielfältig. Ich gerate jedes Mal in einen kleinen Kaufrausch und trage deshalb regelmässig zu viel nach Hause. Dass in dieser Zeit nicht immer alle zu Hause sind und der ganze Tagesablauf unregelmässiger ist, wirkt sich auf die Essgewohnheiten aus. Die Aprikosen, die ich vorgestern gekauft habe, weisen schon ein paar braune Stellen auf und sollten gegessen werden. Aber heute konnte ich den Kirschen nicht widerstehen, es sind bald die letzten. Deshalb entscheide ich mich für eine Variante, für die ich normalerweise zu faul bin – Konfitüre.
Ich wasche, schneide, wäge, mixe, gebe Zucker in die Pfanne und schalte die Herdplatte auf die höchste Stufe. Sobald sich die Masse erwärmt, steigt ein fruchtig-süsser Duft auf. Sommer denke ich. So riecht Sommer für mich. Bei warmen Temperaturen in der Küche stehen und die Früchte dieser Jahreszeit für die kalten, trüben Tage in Gläser haltbar machen.

Der Geruch «beamt» mich in Gedanken weit zurück. Von der Badi nach Hause kommen, die Badetücher in der Scheune an die Wäscheleine hängen. Dort drin ist es schattig, aber genauso warm wie draussen, helles Licht dringt durch die Bretterwand. Ein Gemisch aus Holz, Staub liegt in der Luft, meine Haut riecht nach Sonnencreme und Weiher. In der Küche ist es angenehmer, in zwei grossen Pfannen sprudelt, die rote, violette oder orange Flüssigkeit und heizt den Raum auf.

Auf einmal weiss ich, was ich heute noch unternehmen werde.

Bücher

Ich sitze im Schlafzimmer vor dem Regal. Schon lange will ich es aufräumen. Es stapeln sich Bücher auf Bücher, obwohl ich viel öfter als früher welche aus der Bibliothek leihe. Aber zwischendurch gibt es ein neues, wie gerade jetzt vor den Ferien. Den Mittelstreifenblues von Alice Gabathuler, mal sehen ob das Cover hält was es verspricht ;-).

Ausserdem in diesem Gestell versorgt sind meine CD’s, unsere Langspielplatten, die Fotoalben, die Zahntrücklis, Kinderbasteleien, Dekodinge.

Eine Idee habe ich schon, wie ich wieder etwas Ordnung reinbringen kann. Das Abteil mit den leeren Notizheften und der Schachtel mit den leeren Grusskarten muss Platz machen. Für sie ist etwas im Wohnzimmer frei geworden.

Zuerst nehme ich die überzähligen Bücher heraus. Darunter hat es solche, die ich noch gar nicht gelesen habe und es wahrscheinlich auch nie tun werde. Dann liegen dort jene (Barbara stirbt nicht, Tell, Gipfelstürmer,...), die ich ausgeliehen hatte. Sie warten seit ihrer Rückkehr auf einen freien Platz. Speziell sind jene (Ein Winter in Paris, Jack), die ich zwar gelesen habe, aber nichts über sie erzählen kann. Ich habe es nicht vergessen. Nein, ich weiss nicht um was es ging, habe es beim Lesen nicht gemerkt und nicht verstanden. Dafür erinnere ich mich noch, wo und wann ich sie gekauft habe. Nämlich beim ersten Mal «einschliessen und geniessen». Unerklärlich, warum sie mich angesprochen haben. Mittlerweile haben, meine Freundinnen und ich, schon dreimal dieses Angebot von Buchläden und Bibliotheken genutzt. Einen Abend ungestört, unbeaufsichtigt und ohne Zeitdruck in Büchern stöbern, lesen, dazwischen essen, trinken, schwatzen. Beim zweiten Mal war ich übrigens vorsichtiger mit der Wahl. Auf keinen Fall wollte ich nochmals den gleichen Fehler machen. Das hat sich gelohnt (Dass es überraschend kommt, habe ich erwartet).

Zurück zu meinen Büchern. Einige (Ein Freund, Ein Engel über deinem Grab) stehen schon zwei Jahrzehnte da und werden wahrscheinlich nie mehr von irgendjemandem gelesen. Wenn ich sie ansehe, weiss ich, dass sie mir damals gefallen haben oder sie erinnern mich an einen ganz bestimmten Zeitpunkt in meinem Leben (Betty Blue). Zum Teil fand ich sie richtig gut und das berechtigt ihren Stammplatz (Schattwand, Mein Leben als Pinguin, Ove, Der Tag, an dem der Goldfisch aus dem 27. Stock fiel). Trennen ist schwierig und das trifft auf einige zu. Und natürlich verabschiede ich mich auch nicht von Liebesgeschichten, Komödien oder den Klassikern (Trainspotting, Small World). 

Muss ich auch gar nicht. Mit dem Staublappen wische ich über die freigewordene Fläche und stelle die Bücher an ihren neuen Platz.

Taschenrechnerräuber

Ich starte gleich durch. Und wahrscheinlich genau deshalb, bekomme ich die Information, dass der Taschenrechner aus dem Thek verschwunden ist, erst kurz bevor Schüler:in das Haus verlässt. «Da kann man nichts mehr machen. Das Etikett mit meinem Namen drauf klebte bei mir an der Garderobe. Den findet man nie wieder.»

Das  nervt mich noch mehr. Denn das bedeutet ja ganz klar, jemand hat es genau auf diesen Taschenrechner abgesehen. Und das in der letzten Schulwoche, heisst die Person braucht ihn nicht dringend, um schwierige Hausaufgaben oder eine Prüfung zu lösen. Dafür hätte ich noch Verständnis. Nein, es geht hier entweder um ein zwischenmenschliches Problem oder, und das ist wahrscheinlicher, um gar nichts. Und ich überlege noch, was mich mehr stört.

Es nützt auch nichts, wegen dieser Sache einen Aufstand zu machen, das ist mir klar. Vier Tage vor den Sommerferien fiebern nicht nur Schüler:innen dem letzten Schultag entgegen. Nicht das erste Mal, lässt man es dann einfach sein und hofft die Gesellschaft ändere sich irgendwann wieder. Vertröstet sich selbst mit dem Wissen, dass ein Ende in Sicht ist und auch die nächsten 365 Tage schnell vergehen werden. Trotzdem würde ich gerne allen, die es nötig haben, ihre Einfältigkeit um die Ohren hauen. Würde ich ein Drehbuch für einen Hollywood Highschool-Streifen schreiben, würde an dieser Stelle die Mutter, wie eine schnaubende Mutterkuh, mit diesem Text, die sowieso überbewertete Schulabschlussfeier, «crashen». Es gäbe einen Aufruhr und schlussendlich ein Happy End. Vielleicht würde jemand nach Hause gehen und seine ganzen digitalen Geräte, Gelnägel oder was auch immer in den Steamer stopfen, Start drücken und warten bis alles explodiert (Diese Szene wäre zwar auch geklaut, aus Breakfast-Club, ein Film aus den 80er). 

Oder ich könnte aus Protest einfach meinen Beitrag zur Abschlussfeier vergessen oder besser noch dem Salat ein falsches Gewürz beimischen. Aber lieber möchte ich mich nicht auf ein solches Niveau herablassen. Deshalb mache ich meinem Ärger Luft, in dem ich diese Zeilen schreibe und dabei noch abwäge, ob ich sie überhaupt jemandem zeigen werde.

Wenn ja, hallo Taschenrechnerräuber:in, schalt dein Gehirn ein und ändere deine Lebenseinstellung, besser heute als morgen, aber vielleicht spätestens in vier/fünf Wochen. Denn in dieser Welt wartet niemand auf dich.

Von da nach dort

Pünktlich lade ich die Unihockey-Girls bei der Turnhalle ab. Für die Ausstellung ist es noch zu früh, also mache ich mich doch noch auf die Suche nach einer Regenhose. Da die Läden erst vor kurzem geöffnet haben, finde ich problemlos einen Parkplatz. Das Gesuchte finde ich leider nicht, komme aber trotzdem nicht mit leeren Händen aus dem Geschäft.

Und jetzt ist es Zeit, die Ausstellung öffnet in Kürze ihre Türen. Ich hoffe, ich schaffe es noch rechtzeitig. Zurück auf dem gleichen Weg, muss ich bei einer Verzweigung einfach eine andere Richtung einschlagen. Alles kein Problem. Bis jetzt. Die Strasse wird schmaler, die Geschwindigkeitsbegrenzung reduziert sich, dann Kopfsteinpflaster und schlussendlich ein allgemeines Fahrverbot, die Strasse ist gesperrt. Um die Kirche versammeln sich elegant gekleidete Menschen, die Glocken läuten. Ok, ich wende mein Fahrzeug und halte Ausschau nach einer Parkmöglichkeit. Aber die Privatplätze sind gut sichtbar gekennzeichnet. Keine Chance, also fahre ich noch weiter zurück. Jetzt bin ich schon wieder im anderen Dorf und noch dazu auf der anderen Seite der Bahnlinie. Beim Warenhaus hat es zwar Parkplätze, aber ich keine Ahnung, wie ich von dort am schnellsten zum Ziel komme. Ich versuche es von der anderen Seite. Die Strasse wird wieder enger. Ich erspähe ein grosses Parkplatzschild.
Blauäugig, naiv und ganz nach dem Motto «die Hoffnung stirbt zuletzt» lenke ich unseren 9-Plätzer-Bus Richtung Schulhaus. Was hatte ich mir nur gedacht. Ein Städtchen, in dem der samstägliche Wochenmarkt, eine Hochzeit, das Schlossfest und eine Ausstellung stattfindet, da ist logisch alles besetzt. Ich wünsche mir den kleinen, roten Suzuki swift herbei, den hätte ich schon längst irgendwo abgestellt. Aber nein, im Rückwärtsgang (wenden unmöglich) mache ich mich davon. Als ich es fast geschafft habe, hupt es, das war ich selbst. Ringsherum ist niemand zu sehen, doch langsam komme ich ins Schwitzen, die Zeit läuft mir davon.
Wieder unten auf der Hauptverkehrsachse angekommen, entdecke ich endlich freie, weiss markierte Felder mit dem Hinweis einer zentralen Parkuhr. Also nichts wie hin. Den Blumenstrauss nicht vergessen und zügig zurück ins Städtli.

Das Rathaus zu finden ist nun eine einfache Sache. Eine rotbackige, glückliche Theres begrüsst ihre Gäste und findet überhaupt nicht, dass ich zu spät bin. Ich überreiche ihr die Blumen, nur um sie gleich wieder an mich zu nehmen, auch sie haben Durst.

Nun habe ich Zeit für einen Rundgang. Am besten gefällt mir das Bild mit Blick aus dem Traktor auf die Felder oder das mit dem Mädchen in den Gummistiefeln vor einer riesigen Pfütze. Aber auch die Zwiebeln, das bis oben mit Käselaiben gefüllte Fahrzeug (ein Lada?) oder die mutige Tanne sind faszinierend in ihrer natürlichen, detailgetreuen Art. Unsere Eröffnungsreden hat Theres ausgedruckt und aufgehängt. Es passt gut so wie es ist. Gratulation!

Die Uhrzeiger rücken vor, ich muss mich wieder verabschieden und beeilen. Kann die Unihockeyanerinnen nicht zu lange warten lassen. 

Wellen

Als ich erwache ist sie bereits da, die nächste heisse Welle. Sie überrollt mich und hinterlässt auf meinem ganzen Körper eine feuchte Schicht. Jeden einzelnen Tropfen glaube ich zu spüren oder anders gesagt: ich bin klatschnass.
Ich drehe mich um. Durch den Spalt unten an der Tür dringt Licht ins Zimmer, Zeit bald aufzustehen und doch noch zu früh dafür. Erstmals muss die Decke weg und zwar ganz. Ruhig liege ich da und warte, bis sich die Flut in Ebbe verwandelt und ich mich wieder zudecken kann. Das Schauspiel der Gezeiten wollte ich schon immer mal miterleben, aber eigentlich lieber am Meer.

Sie kommen im Moment öfter, mittlerweile auch am Tag. Als ob die Temperatur in der Küche nicht schon aufgeheizt genug wäre, noch dazu mit den warmen Frühlingsstürmen. So überfallen mich die Hitzewellen unverhofft, während ich Gemüse rüste oder eine Pfanne auf den Herd stelle.
Nie wollte ich eine Frau werden, die immer und überall zu heiss hat und unvermittelt anfängt Fenster aufzureissen. Aber bald scheint es so weit zu sein. Eigentlich schon viel zu müde, sass ich bei Fiona im Zimmer, um ihr bei einer Aufgabe zu helfen. Plötzlich überkam mich wieder eine Welle und ich konnte mich überhaupt nicht mehr konzentrieren. Auf meinen Befehl öffnete Fiona das Fenster, ich entschuldigte mich sogleich bei ihr. Sie meinte nur: «Das haben, glaube ich, noch mehr Mütter». Sie hätten das letzte Mal beim Essen in der Kochschule besprochen.

Das Wetter-App kann ich schon bald deinstallieren. Meine Daumengelenke und der lädierte Zeigfinger zeigen mir den Wetterwechsel an.
Es ist noch nicht lange her, sah ich kein Problem darin, ein Essiggurkenglas zu öffnen und konnte mir nicht vorstellen, dass einem nach 50 Minuten Fitnesstraining die Handgelenke schmerzen könnten. Mittlerweile wähle ich andere Varianten oder stütze mich, affenähnlich, auf den Fäusten ab.

Als würde das nicht genügen wird die Sicht ebenfalls immer schlechter. Nicht die in die Ferne, die ist seit Jahren nicht gut, aber wenigstens stabil. Es ist die Kurzsichtigkeit. Alles muss man sich, in der genau richtigen Entfernung vor die Augen halten, um es deutlich sehen und lesen zu können. Um dem abzuhelfen, probierte ich beim Einkaufen eine Lesebrille. Als erstes nahm ich eine mit einer leichten Korrektur und testete die Sicht gleich am Kleingedruckten einer Raviolibüchse. Zum Vergleich nahm ich noch eine andere aus dem Gestell. Kaum hatte ich sie auf der Nase, überkam mich Übelkeit und die ganze Welt geriet ins Wanken.

Aber zum Glück habe ich festen Boden unter meinen Füssen, Freundinnen mit denen ich diskutieren und alles teilen kann, eine Familie die mich trotzdem liebt und einen Kanal auf dem ich alles loswerden kann.

Der Morgen (danach)

Als ich erwache ist es schon ein bisschen hell. Es ist Morgen. Sonntagmorgen. Um aufzustehen ist es zu früh und auch zu schön im eigenen Bett. Die Waschmaschine sollte schon bei der Arbeit sein. Ich vermisse eines meiner beiden Kissen. Egal, ich drehe mich auf den Bauch. Ab und zu fährt ein Auto vorbei. Die Türkentauben sind ebenfalls schon unterwegs und rufen sich gegenseitig ihr «uhu uhu uhu» zu. Spatzen tschilpen. Ob das schon die Jungen sind, die auf unserem Firstbalken ihr Nest haben? Ansonsten ist es ruhig, aber bald kommt Leben in die Dorfstrasse. Von sechs bis halb acht bringen die Bauern ihre Milch in die Molki. Ich suche nochmals nach dem Kissen und entdecke es im Spiegel, es liegt hinter dem Bettende am Boden. Was habe ich wohl geträumt. Ein paar Erinnerungsfetzen sind noch hängen geblieben, etwas Komisches, in Worten nicht auszudrücken. Ich lege mich auf die Seite, stopfe das Kissen unter den Kopf und döse. Die erste Milchtanse wird geöffnet, der Deckel macht ein unverwechselbares Geräusch.
Auf meinem Gestell neben dem Bett stapeln sich Bücher, die Osterhasen lächeln und warten darauf gegessen zu werden.

Peter schläft noch. Wir sind alle müde von den letzten drei Tagen. Schön war es. Der Schnee, die Pisten, die Stimmung, das Wetter, wenn auch ein paar Grad zu warm. Von einem Lift zum anderen gewechselt, so viel verschiedene Hänge wie möglich, ob blau, rot oder schwarz markiert, hinuntergefahren. Erst am dritten Tag habe ich mich mal ausgeklinkt, ansonsten bin ich überall hinterher gebrettert. Geduldig, ohne sich zu beschweren haben die anderen auf mich gewartet. Nie fiel eine abschätzige Bemerkung, nein das gibt es bei uns nicht, darauf bin ich manchmal stolz.

Ich muss die Position wieder wechseln. Meine Hand kribbelt, ich spüre sie nicht mehr richtig, sie ist eingeschlafen, ich nicht.
Inzwischen kommt ein «Milchler» nach dem anderen. Während der eine mit dem Absaugschlauch seinen Behälter leert, wartet der nächste meistens schon. Zeit für einen Schwatz miteinander oder mit demjenigen der die Milch annimmt. Sie mögen schon reden, schliesslich sind sie schon lange wach, haben all ihre Kühe gemolken. Einige markante Stimmen können wir dem «Besitzer» vom Bett aus zuordnen. Meistens versteht man nur das «Tschou»
In den letzten Jahren haben sich die meisten einen Tank angeschafft, so müssen sie nicht mehr morgens und abends zum Milch abgeben kommen. Ein paar wenige haben die Tansen noch im Auto oder auf dem Anhänger geladen. Letzteres scheppert und kleppert am meisten, wenn sie leer sind und über die Schachtdeckel gefahren werden.

Inzwischen ist das Bett neben mir leer. Peter besorgt den Sonntagszopf. Ich bleibe noch liegen und hänge meinen Gedanken nach, nutze die Zeit sie in Worte zu fassen und auf «Papier» zu bringen. Und bevor mir alles wehtut, stehe auch ich auf.

Der Typ von Nirvana

Warum ich immer wieder in der Vergangenheit stöbere? Das beruht wahrscheinlich auf folgenden zwei Ursachen. 1. Unsere Kinder werden älter und ich frage mich ab und zu, wo und wie war ich damals unterwegs. Und 2. lassen einem die Vorkommnisse der letzten Zeit auch über das eigene Leben nachdenken.

Zwei Destinationen standen für die Abschlussreise der KV-Klassen zur Auswahl, Andalusien oder Berlin. Ich schloss mich meinem Kollegenkreis an und befand mich deshalb vor genau 30 Jahren in der deutschen Hauptstadt. Unser Programm: ein Besuch bei Madame Tussaud und im Botanischen Garten, zweimal fremdländisches Nachtessen (indisch und mexikanisch?), eine Velotour entlang der Mauer oder was davon übrig war und das Museum beim Checkpoint Charlie.
Meine Erinnerungen: viel Verkehr, Baustellen, scharfes Essen, eindrückliche Fluchtgeschichten, einen Schuhfehlkauf (zu Hause nie wirklich getragen) und Kurt Cobain starb. Diese Nachricht flimmerte in der Endlosschleife über den Fernsehbildschirm im Frühstücksraum des Hotels.

Nein, ich war nicht am Boden zerstört, aber es blieb einer dieser Tage, von denen man weiss wie man ihn verbracht hatte.

Letztes Jahr habe ich mir das Buch «the Storyteller» von Dave Grohl geschenkt. Der Typ von Nirvana, wie er sich selbst im Buch bezeichnet.

Dave Grohl war mir immer sympathisch. Vielleicht deshalb, weil mir schon als Jugendliche nie der Frontmann einer Band am besten gefiel. Meistens war dieser auch schon von meiner besten Freundin «besetzt». Angefangen bei a-ha bis hin zu Züri West, schwärmte ich für die Gitarristen. Und im Fall von Nirvana eben für den Schlagzeuger.

Es interessierte mich, was er zu erzählen hat. Was beschäftigt jemanden, der mit seiner Band Geschichte geschrieben hat. Das Buch las sich leicht und Dave Grohl ist so «cool» wie ich es mir erhofft hatte. Er erzählt von seiner engen Beziehung zu seiner Mutter, von Vaterstolz, vom Anfang und Niedergang Nirvanas, von traurigen Nachrichten, gebrochen Beinen, seiner aktuellen Band den Foo Fighters. Keine detailliert beschriebene Alkoholexzesse, immer positiv und lebensfroh. Ganz anderes als das Buch von Mark Lenegan (Screaming Trees) «Alles Dunkle dieser Welt», mein Geburtstagsgeschenk im Vorjahr. Dreckig, abgründig, eklig, aber spannend, ein tiefer Tauchgang in die Welt des Grunge.

Auf dem Weg in den Buchladen tönt «I love Rock N’ Roll» von Joan Jett aus den Lautsprechern. Ich drehe an der Lautstärke, dann Stilbruch mit Rick Astleys «Never gonna give you up». Ein Zufall, aber wie ich nach dieser Lektüre weiss, gibt es sogar da Gemeinsamkeiten. 
Bin gespannt welches Buch mich dieses Jahr aussuchen wird.

Verschwundene Gegenstände

Oft war ich nicht krank als Kind und wenn, dann nur Fieber, eine Magenverstimmung oder Mittelohrentzündung. Wahrscheinlich sind deshalb die Erinnerungen daran überwiegend positiv. Wir wohnten in einem alten Haus. Der Kachelofen wärmte Küche, Stube und Badezimmer. Das hiess, in den Wintermonaten waren unsere Schlafzimmer im Obergeschoss kalt. Deshalb funktionierte unsere Mutter immer das Kanapee in der «kleinen» Stube" als Krankenbett um. Sie bezog es mit einem frischen, weissen Leintuch, holte einem das eigene Kissen aus dem Bett und deckte uns mit einer Steppdecke zu.

So war man Nahe bei der restlichen Familie und dem Alltagsgeschehen. Konnte jederzeit rufen und wurde auch gehört, was aus meinem Zimmer im Dachgeschoss unmöglich und umständlich gewesen wäre. Kam unser Vater von der Arbeit nach Hause, schaute er, noch bevor er an den Tisch sass, vorbei um zu sehen wie es einem geht. Die Gespräche drangen gedämpft von der Küche ans Krankenbett. Fühlte man sich besser, konnte man sich dazu setzen, aber auch schnell wieder verschwinden. Der Fernseher und die Stereoanlage befanden sich ebenfalls dort. Für Unterhaltung war also auch gesorgt.Nebst Tee und Zwieback kochte Mama «Chüngelisuppe» und erfüllte spezielle Wünsche und Gelüste.

Um die Temperatur zu messen kam der Fibermesser zum Einsatz. Dieser war immer gut versorgt und es galt vorsichtig damit umzugehen. Der Glasthermometer steckte in einer durchsichtigen Plastikhülle. Er durfte auf keinen Fall Schaden nehmen, denn er enthielt das hochgiftige Quecksilber. Von der silbrigen Spitze aus, zog sich in der Mitte ein gelber Strich über die ganze Länge, rechts und links davon waren die Zahlen der Temperaturen auf weissem oder gelbem Hintergrund abgebildet. Zwischen der 35 und der 42, war die Zahl 37 rot eingefärbt. Als Vorbereitung nahm ihn meine Mutter in die Hand, um die noch angezeigte Messung «herunter zuschlagen». So ganz locker aus dem Handgelenk, dabei entstand ein ganz spezielles Geräusch von dem ich bis heute nicht sagen kann, von was es kam. War es die Hand, das Handgelenk oder der blaue Strich der kleiner wurde, also die Reaktion des Fibermessers? Wenn ich es selber versuchte klang es nie gleich. Es war so etwas, dass nur Erwachsene konnten, man aber selber auch gerne können wollte. Wie zum Beispiel das Mischen der Jasskarten. Anschliessend musste der Fibermesser zehn Minuten unter die Achselhöhle geklemmt werden, so lange galt es still zu sitzen, den Arm ruhig zu halten. Am blauen Strich, der durch die Wärme in die Höhe kletterte, konnte die Körpertemperatur abgelesen werden. Beim nächsten Mal, musste wieder geschüttelt werden.

Diese Fibermesser sind verschwunden. Erst wurden sie durch solche mit digitaler Anzeige und Pfeifton ersetzt. Heute ist sogar kontaktloses Fibermessen mit sekundenschnellem Resultat möglich. Die Krankheiten sind trotzdem geblieben.

Wenn ich heute einmal krank bin, werde ich von meiner Familie vor allem in Ruhe gelassen. Dann denke ich, mit ein bisschen Wehmut, an unsere Mutter und unser Kanapee zurück. Mittlerweile sind beide ebenfalls aus meinem Leben verschwunden. Das ist der Lauf des Lebens und der Zeit. Erinnerungen, Relikte, aus einer nimmer wiederkehrenden Zeit.

Die Vorhersage

Das garstige Wetter warf die Pläne für den Wintersport über den Haufen. Ich brauchte dringend einen Tapetenwechsel, da auch mein Training am Vorabend ausgefallen war. Spontan entschied ich mich an einem Angebot der Bibliothek teilzunehmen. Um mich anzumelden, wie eigentlich erwünscht, blieb keine Zeit. Meine Entscheidung fiel erst 20 Minuten vor Beginn.

Ich hatte keine grosse Vorstellung wie der Abend ablaufen würde – Kreatives Lesen. Gespannt wer da alles teilnehmen würde, parkierte ich vor dem Gebäude. Die Fenster waren beleuchtet und die Tür unverschlossen. Ein gutes Zeichen, da war sicher noch jemand da. Ich war nicht die Erste und nicht die letzte der kleinen Gruppe. Schlussendlich versammelten sich sieben Frauen, unterschiedlichen Alters, um den ovalen Tisch.

Während der Begrüssung, stellte ich fest, dass es für das Bevorstehende auch einen englischen Begriff gibt, nämlich shared reading. Hätte ich das gewusst, wäre ich wahrscheinlich nicht gegangen. Aber jetzt war ich hier und Anja wirkte sympathisch. Die deutsche Sprache verlieh dem ganzen etwas Professionelles und versprühte einen Hauch von Fernsehen, ein bisschen wie Literaturclub.

Sie stellte kurz das Buch vor, von dem sie Ausschnitte für alle kopiert hatte und begann mit dem Vorlesen. Es stand jedem frei, selber mitzulesen oder nur zuzuhören.

Die Ausgangslage.
Jede volljährige Person erhält eine kleine Box. Sie ist aus Holz und mit dem Namen angeschrieben. Eines Morgens ist sie einfach da, über Nacht vor die Haustür, das Zelt, die Hütte geliefert, auf der ganzen Welt.

In der Box befindet sich eine einfache und doch rätselhafte Botschaft: «Das Innere birgt das Mass deines Lebens». Dazu, unter einem silberweissen Stück zarten Stoffs verborgen, ein einzelner Faden.

Noch bevor Nina ihre Freundin Maura aufweckt, laufen die Social-media Kanäle heiss. Schon bald wird klar, der Faden zeigt an wie lange jeder noch zu leben hat. Nicht alle öffnen die Box, nicht alle wollen das Resultat wissen. Irgendwann hält es Maura nicht mehr aus.  Zusammen öffnen sie die kleine Kiste und machen eine traurige Entdeckung.

Nach jedem Abschnitt, sprachen wir über das Gelesene. Wir stellten einige Parallelen zur Corona-Pandemie fest.

Was würde es mit uns machen? Angenommen ich hätte einen kurzen Faden. Mein erster Gedanke, der Klassiker: alles tun was ich schon immer wollte. Und nach kurzem Überlegen: Wären die Anderen, die mit den langen Fäden, bereit weiterzuarbeiten und einen normalen Alltag zu führen, während die Kurzfäden nur tun und lassen was Spass macht?

Mir geht es wie Anna, ich hätte mich selbst wahrscheinlich nie entschieden ein solches Buch zu lesen. Trotzdem oder gerade deshalb war es spannend. Die Vorstellung, dass so etwas passieren könnte und die Gedanken dazu, beschäftigten mich noch ein paar Tage länger.

Wer mehr erfahren will, liest «Die Vorhersage» von Nikki Erlick

 

Würfelspiel

Die Woche geht langsam zu Ende, es ist Sonntag später Nachmittag. Ich bin soeben nach Hause gekommen. Eigentlich würde ich gerne bügeln und dazu meinen Lieblings-Podcast hören. Lukas wäre noch für ein Spiel zu haben, die Teenagerinnen sind in ihren Zimmern beschäftigt, mit Peter sind wir also zu dritt.

Die Frage ist nun einfach welches Spiel. Bei Rummikub verliere ich immer. Qwixx, da stehen meine Chancen besser, letzte Woche konnte ich zweimal gewinnen. Aber nicht alle wollen eine Revanche. Jassen oder würfeln, wir entscheiden uns für Yatzy, eine Premiere.

Für mich ein ideales Spiel, denn es braucht vor allem Glück. Dem Taktiker sagt das weniger zu, er hält sich aber gut und nach einem günstigen Verlauf in der ersten Runde, siegt er mit zehn Punkten Vorsprung.

Wir machen eine kleine Pause. Während ich etwas zu trinken hole, erinnere ich mich plötzlich an das Lied «Das Leben ist ein Würfelspiel». Schon lange nicht mehr daran gedacht und schon gar nicht gehört. Ein altes Soldatenlied und früher in jedem Singbüchlein zu finden. Ich verbinde es mit meiner Kindheit. Es war eines, dass wir oft während den Autofahrten zum besten gaben. Ein Radio gehörte damals noch nicht zur Standartausstattung eines Autos.
Die Melodie summt in meinem Kopf. Das Spiel geht weiter, ich belege nochmals Rang 2.

Seither taucht immer wieder eine Textzeile aus meinem Unterbewusstsein auf und dringt an die Oberfläche.

¯ «Das Leben ist ein Würfelspiel, wir würfeln alle Tage» Nach dem Nachtessen, bügle ich die angestaute Wäsche. ¯ «dem einen bringt das Schicksal viel, dem anderen nichts als Plage». Beim abstauben am nächsten Morgen, sehe ich uns im roten Mini sitzen und voller Inbrunst den Refrain schmettern. ¯«drum auf Kameraden den Becher zur Hand, zwei Sechser auf den Tisch, ja auf den Tisch, der eine ist fürs Vaterland der andere ist für mich».

Dieses Lied gefiel mir sehr, besser als «Hoch auf dem gelben Wagen». Jetzt lösen die Zeilen noch andere Erinnerungen aus. Nämlich jene an unser Familienauto, einen roten Mini Clubman, ausgestattet mit selbstgenähten, rotweiss-karierten Sitzüberzügen, passend dazu für uns Kinder je ein Kissen. Darauf war bei jedem ein Herz appliziert, ebenfalls mit einem rotweiss oder weissrot gemusterten Stoff. Voll beladen fuhren wir so in unsere ersten Sommer- und Skiferien.

Irgendwann war der Platz doch etwas knapp. Mit dem Kauf eines Subaru Libero 4x4, endeten unsere Gesangskarrieren und eine neue Ära brach an. Musik aus dem Radio und ab Kassette hielt Einzug und auch die Ferien wurden komfortabler.

Neujahrsvorsätze

Letztes Jahr hatte ich mir vorgenommen weniger Plastik zu verbrauchen oder ihn mindestens separat zu sammeln. Ob ich ersteres wirklich geschafft habe, wage ich zu bezweifeln. Je mehr ich darauf achtete, desto mehr fielen mir die Verpackungen auf. Alles ist mindestens einmal in Kunststoff gehüllt. Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, noch mehr als je zuvor von diesem Material umgeben zu sein. Befand ich mich in der Gemüseabteilung des Grossverteilers, war ich hin und her gerissen, musste ich mich zwischen Bio-Peperoni im Plastik verpackt oder denjenigen ohne Label, dafür offen und von mir ins mitgebrachte Stoffsäckli abgefüllt, entscheiden. Sorglos einkaufen war irgendwie gestern.

Gesammelt habe ich ihn, in den extra dafür angeschafften Plastiksäcken. Gezählt habe ich sie nicht, aber es waren bestimmt sechs bis sieben 60 Liter Säcke über die zwölf Monate verteilt.

Nun ist das alte Jahr zu Ende, das neue noch frisch und unverbraucht. In der letzten Zeitung des 2023 gab es 10 Tricks zu lesen, wie es mit Neujahrsvorsätzen am besten klappen würde. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mir noch keine Gedanken zu diesem Thema gemacht. Eigentlich nehme ich mir keine «gute Vorsätze», gelesen habe ich die Tipps trotzdem.

Am zweiten Tag des 2024 waren wir mit dem Bus auf dem Heimweg. Ich sah aus dem Fenster, die Landschaft zog vorbei. Vieles ist im Winter besser zu sehen, da das Laub der Bäume fehlt, so auch die gelben Wegweiser. Nicht weiter von zu Hause entfernt und trotzdem noch nie da gewandert, dachte ich und sagte: «Dieses Jahr werde ich endlich einmal diesen Weg laufen.» Die Kinder hatten nur ein müdes Lächeln übrig, sie halten nichts von Vorsätzen.

Als es am nächsten Tag für den Hundespaziergang Zeit war, nutzte ich wieder einmal die Mitfahrgelegenheit, die mir jeweils gut 300 Höhenmeter Aufwärtsmarsch erspart. Ich schlug den gleichen Weg ein, den ich schon letzte Woche zweimal gegangen war. Beim Wegweiser, der mir drei verschiedene Varianten anbietet (links, rechts, weiter aufwärts), entschied ich mich spontan für die entgegengesetzte Richtung als sonst. Nach ein paar Meter befand ich mich ein bisschen wie in einer anderen Welt. Von weitem hörte ich eine Motorsäge aufheulen, zusehen war aber niemand. Die Aussicht, auf die gegenüberliegende Bergkette, die noch von der Sonne beschienen wurde, erfreute mich.

Die Richtung stimmte und es zog mich immer weiter, bis ich schliesslich auf dem besagten Weg unterwegs war und ich am Schluss bereits meinen ersten und einzigen Vorsatz abhacken konnte.

Übrigens, ich habe die Tipps nochmals durchgelesen. Ich habe Nr. 3 angewandt.
«Eine neue Gewohnheit «Huckepack» nehmen.»